Das Versagen der Historiker
3 Seiten | Autor: Stefan Wolle
In einem festlich geschmückten Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität hatten sich vor einigen Jahren Studenten und Geschichtsprofessoren versammelt, um mit einer Podiumsdiskussion den Jahrestag der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ würdevoll zu begehen. Doch es kam zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall. Einer der Studenten wagte es in einem damals ungewöhnlichen Anfall von Mannesmut, die historische Wahrheit über die Geschichte der Sowjetunion anzumahnen. Er nannte Beispiele für die seiner Meinung nach schamlosen Verfälschungen auf diesem Gebiet. Er erinnerte an die Verbrechen der Stalinzeit, die Jahre zuvor schon öffentlich benannt worden waren, dann aber wieder der Vergessenheit anheim fielen. Der offiziell bestellte Diskussionsleiter- ein Geschichtsprofessor, dessen Namen zu nennen ihm zuviel Ehre antun würde- starrte haßerfüllt in die Richtung, aus der ihm die ungeheuerliche Blasphemie entgegenschlug. Sein kalter Basiliskenblick schien zu sagen: „Dich werden wir uns merken, Freundchen!“ Als der Student geendet hatte, herrschte tödliches Schweigen.
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