Ostwissenschaft im Taumel
3 Seiten | Autor: Ralf Possekel
Inzwischen ist bereits ein drittes Jahr angebrochen, ohne daß für viele akademisch Tätige im Osten Deutschlands ein Zustand vergeht, der vielleicht am ehesten als andauernde Benommenheit charakterisiert werden kann. Zumindest für viele ehemals als Gesellschaftswissenschaftler figurierende ist mit dem abrupten Wegbrechen des Jahrzehnte fixen sozialen und politischen Koordinatensystems, das offen oder unausgesprochen den Kontext von Affirmation, Vertiefung, Kritik oder Ablehnung bildete, eine Situation eingetreten, wo selbst ein genialer Gedanke sich seines Zusammenhanges mit einem fortlebenden Diskurs versichern muß, wo selbst der unbefristet Angestellte um seine Stelle bangt, oder, wie es ein prominenter Historiker einmal formulierte, wo Priesterplötzlich ohne Tempel sind. Was aus der Ferne vielleicht als von Lebenskraft zeugende Mobilität im akademischen Sektor erscheinen mag, ist wohl ein vielfach eher ohnmächtiger Taumel zwischen verschiedenen Projektideen und ungewissen Finanzierungen, zwischen Neubewerbung und Umschulung, zwischen Vorruhestand und Arbeitslosigkeit, zwischen Go West und ABM-Stelle, zwischen eigenen Ideen und den verdeckten Theoremen westlicher Diskurse, zwischen Altlasten und neu berufenen Professoren...
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